Shure KSE1500 & SHA900 - wie alles begann...
Das elektrostatische Ohrhörer-System KSE1500 und der Kopfhörer-Verstärker SHA900 gelten bei Shure als echter Durchbruch. Hinter den Kulissen lief allerdings nicht alles immer so reibungslos ab, wie man sich das gemeinhin gewünscht hätte. Unsere Shure US Kollegen Sean Sullivan (Product Management) und Roger Grinnip (Engineering) stehen Allison Wolcott Rede und Antwort.
Allison Wolcott: Früher ließen sich Premium-Klang und Mobilität nicht unbedingt unter einen Hut bringen. Wie haben KSE1500 und SHA900 nun diesen Umstand verändert?
Sean Sullivan: Mobile Premium Klangqualität ist etwas, was lange Zeit nicht umsetzbar war. Nach und nach wurde die Speicherkapazität der mobilen Endgeräte aber zusehends größer und bei vielen Nutzern kam der Wunsch nach qualitativ hochwertiger Musik auf, die sie schlichtweg überall hören können. Die Technologie wurde immer besser, die Nachfrage nach entsprechenden Geräten stieg.
Der KSE1500 ist ein System, mit dem Klang, wie man ihn sonst nur von großen Anlagen kennt, überall gehört werden kann. Ein Riesenschritt in der Geschichte der mobilen Audiowiedergabe.
Allison Wolcott: Was war Eure Aufgabe bei diesem Projekt?
Roger Grinnip: Ich hatte irgendwann diese Idee, urplötzlich war sie da. Ich wusste damals natürlich nicht, ob sie überhaupt durchführbar ist. Aber wir haben bei uns die Möglichkeit, die verrücktesten Dinge vorzuschlagen und die anderen Kollegen können ihr Feedback dazu geben. Meine Rolle bestand darin, die technischen Hürden zu nehmen und die Idee Realität werden zu lassen.
Sean Sullivan: Roger war vom Start weg der Projektleiter. Bei mir ging es eher um die Details. Mein Team recherchiert die Anforderungen des Marktes und Roger denkt sich Mittel und Wege aus, um diese zu erfüllen. Roger ist einer dieser Ingenieure, die den Spagat zwischen Marketing und Engineering beherrschen - eine bemerkenswerte Eigenschaft. Wir haben etwas ausprobiert, dann etwas geändert und dann wieder von vorne begonnen. Es war eine Heidenarbeit.
Roger Grinnip: Diese Momente, in denen Du ein Problem löst und damit einen Klang schaffst, der Dich denken lässt "ja, daran könnte ich mich gewöhnen...", diese Momente sind einfach großartig. Man darf nicht vergessen, dass außer uns kein Mensch - irgendwo auf der Welt - schon einmal das gehört hatte, was wir gerade hörten. Ein unvorstellbar gutes Gefühl.
Allison Wolcott: Es ist ja nun das erste Mal, dass elektrostatische Technologie in einem Sound Isolating Ohrhörer zum Einsatz kommt. Wieso war das zuvor nicht möglich?
Sean Sullivan: Es ist nicht so, dass wir irgendein geheimnisvolles Material o. ä. entdeckt hätten, das es ermöglicht, einen elektrostatischen Wandler in ein derart kompaktes Design zu bringen. Vielmehr haben wir hier ein Team an Ingenieuren, die sich auf das Design von Wandlern spezialisiert haben, und mit kompakten Bauformen sind wir ohnehin bestens vertraut. Immerhin machen wir hier bei Shure schon seit über 20 Jahren Ohrhörer. Ich kenne kein anderes Unternehmen mit dieser Erfahrung, das so ein Projekt stemmen könnte.
Roger Grinnip: Um viel Sound zu erzeugen, muss man viel Luft über eine recht große Oberfläche bewegen, also gibt es ein paar Kompromisse beim Umfang der Oberfläche sowie bei der Größe der elektrostatischen Treiber. Normalerweise sind elektrostatische Lautsprecher und Kopfhörer richtig groß und typischerweise ein Dipol. Sie rotieren vor und zurück. Dies birgt einige Nachteile, wenn man tiefe Frequenzen wiedergeben möchte, da man Kompression und Expansion verursacht; dadurch werden die tiefen Töne ausgelöscht. Bei den KSE1500 Ohrhörern ging das natürlich gar nicht. Die Abstrahlung vom Hinteren der Membran ist umschlossen und vom vorderen Teil isoliert. Wenn man all die kleinen Stücke und Teile entwickelt, die elektrostatische Technologie auf Miniatur-Ebene ermöglichen, hat man viele der ursprünglichen Nachteile von vornherein eliminiert.
Allison Wolcott: Aber der Ohrhörer ist ja nicht die einzige Innovation beim KSE1500, das Kabel ist auch eine. Erzählt Ihr uns auch hier die Geschichte dazu?
Roger Grinnip: Die elektrischen Anforderungen an ein Kabel für einen elektrostatischen Ohrhörer sind komplett anders als für ein Kabel, das an einem Balanced Armature Driver Ohrhörer angebracht wird. Die Kapazität spielt da fast keine Rolle. Die Impedanz des Treibers ist niedrig genug, dass austretende Kapazität zu vernachlässigen ist. In diesem Fall ist die Kapazität des Treibers sehr, sehr niedrig. Ein elektrostatischer Treiber funktioniert, indem die Ladung über verschiedene Platten anliegt. Die Ladung, die hier anliegt, ist eine Funktion der Kapazität. Eine sehr geringe Kapazität bedeutet, dass Du nicht viel Ladung hast. Die Kapazität des Ohrhörer-Treibers ist 20 bis 30 mal geringer als die Kapazität des Kabels.
Die Herausforderung lag darin, die Kabel-Kapazität so weit herunterzufahren, bis unser Verstärker damit arbeiten konnte. Das hat einige gravierende Veränderungen für das Kabel-Design mit sich gebracht, verglichen mit unseren herkömmlichen Kabeln. In dem Moment, in dem Du die Dinge modifizierst, die das normale Design zum Laufen bringen, bewegst Du Dich von einem elektrischen Problem (Kapazität reduzieren) hin zu einem mechanischen, da Du die Stärke Deines Kabels reduzierst. Dann kam noch dazu, dass Sean ein rundes Kabel wollte, da dies unterwegs einfach komfortabler ist, selbst wenn elektrostatische Kabel normalerweise flache Bandkabel sind, weil ihre Kapazität gering ist - und schon hast Du ein recht großes Engineering-Thema.
Dennoch ist da nichts Mystisches dabei, wie wir das Ganze gelöst haben. Die Entwicklung eines runden Kabels mit geringerer Kapazität lässt sich auf ein bisschen Mathematik und Wissen um Kapazität herunterbrechen. Der echte Trick bestand darin, das Ende des Kabels möglichst robust zu bauen, was einiges an Experimenten und Wiederholungen bedeutete. Unsere Produkttests sind ganz und gar nicht ohne, wirklich nicht. Wir stellen heftige Dinge mit Produkten an, die eigentlich perfekt sind. Beim Kabel war es ebenso. Und wir haben das alles wiederholt, bis das Kabel alle Tests bestanden hatte.
Allison Wolcott: Was war zuerst? Der KSE1500 oder der SHA900?
Sean Sullivan: Wir waren voll mit dem KSE1500 beschäftigt, mit dem Design des Verstärkers und seiner Features. Wir haben getestet, Prototypen gebaut und diese für Testzwecke verwendet. Einige von ihnen waren sehr empfindlich. Jemand aus dem Team meinte, dass es super wäre, einige der Features des Verstärkers auszuprobieren, ohne diese fragilen Ohrhörer-Prototypen dafür nutzen zu müssen. Also, den Verstärker mit unseren anderen Ohr- und Kopfhörern zu testen. Und wir sagten alle "Ja, das wäre großartig".
Der Markt für portable DAC Verstärker hatte in den letzten paar Jahren deutlich zugelegt. Hätten wir schon vor acht Jahren mit dem SHA900 angefangen, hätte uns das vermutlich niemand genehmigt, einfach, weil damals kein Markt dafür vorhanden war. Da wir aber bereits voll mit dem KSE1500 zugange waren, mit all den Features, die man auch für einen eigenständigen, portablen DAC benötigt, sahen wir die perfekte Gelegenheit, auf den Zug aufzuspringen. Der wachsende DAC Markt lag auch in immer besseren Endgeräten begründet. Zudem sahen Leute so langsam ein, dass man eher in ein portables HiFi-System investieren sollte, das man regelmäßig unterwegs nutzt, anstatt in eine Heimanlage, die man so gut wie nie verwendet.
Allison Wolcott: Theoretisch kann man den SHA900 mit jedem Kopfhörer mit 3,5 mm Buchse verwenden. Gibt es Shure Modelle, die Du für besonders geeignet bzw. ungeeignet erachtest?
Sean Sullivan: Es gibt keinen bestimmten Kopf- oder Ohrhörer, der für den SHA900 besser geeignet ist als ein anderer. Allerdings gibt es Punkte bei einigen unserer Ohr- und Kopfhörer, wo sich der SHA900 besser macht als andere portable DACs. Es ist also eher so, dass der SHA900 sich besser für Shure Listening-Produkte eignet als andere DACs.
Allison Wolcott: Es gibt jede Menge Einstellmöglichkeiten, die die User selbst vornehmen können. Wie habt Ihr dies in Einklang gebracht mit den Presets?
Sean Sullivan: Unterwegs ist eine einfache, komfortable Bedienung extrem wichtig. Wenn Leute ihr Gerät unterwegs bedienen, wollen sie meist nicht viel herumexperimentieren und dies oder jenes austesten. Also haben wir zwei Haupt-Kontrollmöglichkeiten beim KSE1500 Verstärker und beim SHA900: einen Knopf und ein Drehrad. Du kannst ihn einfach in Deiner Tasche lassen, und bequem mit einer Hand steuern. Wir mussten einfach die Einstellungen priorisieren, die User am liebsten selbst kontrollieren, und diese Steuerung möglichst einfach gestalten. Wir hatten eine Gruppe User hier, die einen super Job gemacht haben, indem sie uns geholfen haben, Menüpunkte und Navigationsschritte so einfach wie möglich zu halten.
Roger Grippin: Diese User Meetings - wow. Ich bin echt froh über all die extra Funktionalität. Die ersten Versionen der Produkte waren analog in, analog out und Lautstärkekontrolle. Da hat sich also ziemlich viel getan dank der User Gruppen. Was sie hier gemacht haben, ist extrem wichtig und hat uns sehr dabei geholfen, ein so großartiges Produkt zu machen. Aber es war teilweise schon ganz schön anstrengend.
Sean Sullivan: Es gab immer wieder Momente in diesen Meetings, wo ich dachte "jetzt brauche ich einen Kaffee". Aber wenn man dann mal einen Schritt zurückgeht und sich die ganzen Details betrachtet, die aus diesen Meetings hervorgekommen sind, und sieht, wie sich eines zum anderen fügt, merkt man, dass dies ein Riesenunterschied für das Produkt bedeutet.
Roger Grippin: Du hat sowas von Recht. Du arbeitest gerade daran und denkst "nein, Schluss jetzt, das reicht.", aber dann merkst Du, dass exakt diese Änderung einen großen Unterschied ausmacht.
Allison Wolcott: Beide Produkte bieten 24 bit/96 kHz Analog-Digital/Digital-Analog-Wandlung und erfüllen damit die Anforderungen der Japan Audio Society. Wie kam das zustande? Und warum 24/96?
Sean Sullivan: Wir hatten ein Treffen mit der Japan Audio Society. Das ist eine Non-Profit-Organisation, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, das Hörerlebnis zu verbessern, in dem sie Regeln für die Aufnahme- und Wiedergabe-Qualität von digitalem Audio definiert. Was sie versuchen, ist eine gute Idee, aber auch recht schwierig. Ihre Prinzipien haben sich mit unseren gedeckt, also haben wir uns darauf verständigt, dass wir ihr Logo auf unserem Produkt nutzen wollen.
Viele Menschen haben uns gefragt, warum wir 24/96 gewählt haben. Es kommt darauf an, portabel zu sein und das meiste aus iOS und Android herauszuholen. Das Maximale, was Du erreichen kannst, ist eine 24-bit/96 KHz Sample-Rate. Unsere Wahl des DAC/ADC Chips erfüllt den maximalen Standard für die Leistung dieser mobilen Geräte. Wenn wir einen Chip mit einer höheren Sampling-Rate genommen hätte, hätte sich das negativ auf die Effizienz und die Batterielebenszeit ausgewirkt, ohne einen echten Vorteil zu bieten.
Allison Wolcott: Wie sieht es denn generell mit der Batterielebenszeit aus im Vergleich zu der anderer portabler Geräte?
Sean Sullivan: Das ist alles ziemlich identisch. Die Batterie des KSE1500 hält sieben bis zehn Stunden durch.
Allison Wolcott: Was ist der Vorteil, sowohl DAC als auch ADC Funktion zu haben?
Sean Sullivan: Die meisten portablen DACs sind reine DACs. Sie konvertieren digitale Audiosignale in analoge. Unserer hat zudem die ADC Funktion, die analog in digital umwandelt. Dies erlaubt Dir, das analoge Signal in ein digitales umzuwandeln, so dass Du unsere DSPs nutzen kannst, dann wird es wieder auf analog zurückgewandelt und ausgespielt. Damit sind auch alle analoge Wiedergabegeräte kompatibel mit unseren DAC/ADCs und können unseren DSP verwenden. Die meisten anderen Produkte können das nicht von sich behaupten.
Zudem, diejenigen, die hochwertige, digitale Audioplayer mit analogen Ausgängen und Klangquellen mit höheren Bitraten besitzen, können unsere Verstärker in der Analog-Einstellung nutzen. Dabei lassen sie den digitalen Signalprozessor außen vor, indem sie den Bypass Modus wählen und können immer noch die Vorzüge der Verstärkung und, beim KSE1500, der elektrostatischen Technologie nutzen.
Allison Wolcott: Wie waren denn die Reaktionen anlässlich der ersten Produktvorstellung in Tokio im Oktober letzten Jahres?
Sean Sullivan: Tokio ist ein Riesenmarkt für High-End Audio. Fast jeder dort pendelt mit dem Zug zur Arbeit und hört dabei Musik. Die Leute waren sogar noch beeindruckter als ich wir uns das je hätten vorstellen können. Ich war so stolz, die Produkte präsentieren zu können, nach so vielen Jahren Entwicklungzseit. Ich spreche kein Japanisch, aber ein Lächeln ist international. Du brauchst keine spezielle Sprache sprechen, um zu wissen, was es bedeutet, wenn jemand strahlt. Sie haben die Produkte geliebt.